“Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt” (Joseph Beuys, 1965)


Hinter diesem Titel verbirgt sich eine Performance von Joseph Beuys, welche er am 26. November 1965 inszenierte. Diese ereignete sich bei einer Ausstellungseröffnung von Joseph Beuys eigenen Werken. Die Galerie ist für die Besucher zunächst verschlossen. Diese können die Aktion lediglich durch ein Fenster betrachten. Sie sehen Beuys, mit Blattgold und Honig überströmt, dabei zu, wie er von Werk zu Werk geht, in den Armen einen toten Hasen haltend. Beuys bewegte dabei den Mund, sodass es schien, als würde er dem Hasen die Bilder erklären. Damit nutzte er das ihm oft entgegengebrachte Unverständnis aus und erklärte lieber dem Hasen seine Werke, anstatt den ‚verblendeten‘ Menschen.

Nach Beuys eigenen Aussagen versuchte er damit auch auf die vorherrschenden ökologischen Probleme aufmerksam zu machen und die Wichtigkeit des Schutzes der Natur. So wählt er den Hasen ganz bewusst als Symbol für die Inkarnation und zeigt damit Fähigkeiten auf, zu denen der Mensch nur in Gedanken fähig ist. Doch hier liegt nach Beuys auch die Stärke der Menschen, durch Gedanken etwas zu bewegen, zu verändern und damit zu einer besseren Gesellschaft bei zu tragen.


“Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt” (Marina Abramović, 2005)


Jahre später, genauer 2005, rekonstruierte Marina Abramović Beuys Aktion des toten Hasen im Solomon R. Guggenheim Museum in New York. Im Gegensatz zu Beuys Aktion, welche ca. eine Stunde lang dauert, hielt Abramović den toten Hasen, der noch dazu tiefgefroren war, ganze sieben Stunden in den Armen. Sie gab an, dass dies jedoch noch immer ihre eigene Interpretation von Beuys Aktion war. Damit widersetzte sich Abramović der Annahme Aktionen seien vergänglich und unwiederholbar. Neben einer Hommage an Beuys, versuchte sie damit unter anderem auf die moderne Kunstszene aufmerksam zu machen, da immer wieder Werke und vor allem Performances von früheren Künstlern kopiert und für die eigenen Zwecke hin verändert werden, ohne den ursprünglichen Künstlern dafür einen Tribut zu zollen. So entschied sie sich bewusst dafür Beuys Aktion detailliert nach zu stellen, mal abgesehen von der zeitlichen Diskrepanz.

WDR ZeitZeichen 26.11.2015

Wer ist Marina Abramović?

Die serbische Künstlerin Marina Abramović widmete sich ab 1972 der Performance-Kunst, was sie auch heute noch auszeichnet. Ihr Fokus liegt dabei nicht nur darin Grenzen und Tabus zu hinterfragen, sondern auch vorherrschende Machtstrukturen. Ebenso spielt der Aspekte der Zeit und das Publikum mit einzubinden eine große Rolle. Früher mit ihrem Partner Ulay, schafft Abramović heute allein beeindruckende Performances und visuelle und objektbezogene Werke. Nach der Trennung schöpfte sie ihr künstlerisches Potenzial vollkommen aus.

Neben vielen beeindruckenden Werken, hat The Artist Is Present“ einen besonderen Stellenwert. Simpel und doch umso eindrucksvoller ist dieses, ihr bekanntestes Werk 2010 in New York entstanden. Es versammelte sich an diesem Morgen eine große Menschenmasse vor dem Museum of Modern Art (MoMA), um Teil der sieben Stunden dauernden Performance von Abramović sein zu können. Das Kuriose dabei, es ging nur darum sich Abramović gegenüber zu setzen und ihr in die Augen zu schauen. Sie selbst hielt dies 90 Tage, sechs Tage die Woche je sieben Stunden lang schweigend aus, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Bis sie schließlich, als sie ihrem Ex-Partner Ulay gegenübersitzt, in Tränen ausbricht. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, bei denen Abramović ihren Körper teilweise schänden ließ und an die äußersten Grenzen trieb, reichte bei dieser Performance die bloße Anwesenheit ihres Körpers aus.

Marina Abramovi - The Artist is Present

Joseph Beuys und Marina Abramović

1973 traf Marina Abramović bei ihrer ersten öffentlichen Performance „Rhythm 10“ auf dem Edinburgh Festival auf Joseph Beuys. Dies war die erste Begegnung der beiden. Die damals 26-jährige Abramovićs stach während ihrer Performance mit zehn verschiedenen Messern zwischen ihre ausgespreizten Finger. Beuys wurde neben anderen Künstlern für Abramović zur Inspiration. Dennoch begann sie ihre Performance-Karriere, ohne zu wissen was Performance-Kunst eigentlich ist oder überhaupt berühmte Performance-Künstler zu kennen.
Beuys und Abramović teilen beide die Auffassung der spirituellen Notwendigkeit der Kunst und die eigene Spiritualität oder mentale Entwicklung als Verbindungsstück zwischen der Kunst, dem Künstler und dem Publikum zu nutzen. Selbstverständlich ist auch der performative Charakter ihrer Arbeiten sehr wichtig für die beiden Künstler. Dennoch stimmte Abramović nicht mit allen Ansichten und Aussagen Beuys überein. So teilte sie Beuys Ansicht, jeder Mensch sei ein Künstler, nicht. Nach ihr bedarf es den geeigneten Rahmen, um Kunst zu schaffen. Sie sagte dazu in einem Interview, dass ein Bäcker, der in einer Bäckerei Brot backt, immer noch ein Bäcker ist, tut er dies in einem Museum, sei er ein Künstler. Sie widerspricht damit Beuys Ansichten von dem bloßen Gedanken, der sich bereits als Kunst äußern kann.

Am Ende stehen beide Künstler sich gegenüber. Ähnlich und doch verschieden. Zwei kontroverse, oft missverstandene, belächelte und doch revolutionäre Künstler.